Ein Erlebnis aus einer Praxis, die ich beraten und optimiert habe, verdeutlicht, wie mangelhafte Planung zu ineffizienter Arbeit führt.
Die Aufgabe
Das Team hatte die Aufgabe, Serienbriefe an Überweiser zu versenden. Der Chef teilte drei Mitarbeiter ein, um möglichst effizient die geforderten 200 Briefe mit einer individuellen Anrede zu versehen, zu drucken, zu falten und in beschriftete, frankierte Briefumschläge zu geben. Mitarbeiterin Eins schrieb also die Anrede in die Briefe und druckte sie aus. Die zweite faltete die Briefumschläge und die dritte beschriftete die Briefumschläge und klebte die Briefmarken auf. Die Mitarbeiterinnen arbeiteten flott und voll motiviert und der Chef war stolz, denn alles lief wie ein Schweizer Uhrwerk.
Plötzlich auftretende Probleme
Das erste Problem entstand, als die Reihenfolge der Briefe durcheinandergeriet und dies die Zuordnung zu den Umschlägen erschwerte. Als es ans „Eintüten“ ging, hörte man ein lautes Fluchen. Das zweite Problem wurde sichtbar. Es waren die falschen Briefumschläge bestellt worden, sie hatten ein anderes Format als üblich, niemand hatte kontrolliert und keiner hatte es bemerkt. Zwei Stunden Arbeit von drei Mitarbeiterinnen umsonst und keine Lösung in Sicht. Während sich alle darauf konzentrierten, den oder die Schuldigen zu finden und lamentierten, warum immer ihnen so etwas passieren würde, regte ich an, sich stattdessen sofort gemeinsam Lösungsmöglichkeiten zu überlegen. Es wurde schnell klar, dass die fertig vorbereiteten Briefumschläge auf keinen Fall weggeworfen werden dürften, sondern stattdessen die Faltung geändert werden müsste. Sie druckten die Briefe erneut und gingen diesmal auf Nummer sicher, suchten den zugehörigen Umschlag und testeten, ob alles passte. Allerdings hatte die erste Mitarbeiterin die einzelnen Briefe nicht gespeichert, sondern immer nur die Anrede in die Vorlage eingegeben und dann direkt gedruckt hatte, um Zeit zu sparen. Jetzt musste sie jetzt alles von vorne beginnen. Da sie bei diesem zweiten Durchgang feststellten, dass immer eine Mitarbeiterin auf die andere warten musste, bis diese mit ihren Handgriffen fertig war, erledigten sie den Rest zu zweit.
Optimierungsmöglichkeiten
Solche Situationen kommen häufiger vor als man denkt und nicht immer bekommt der Chef etwas davon mit. Fragen wir uns abschließend: Was kann in diesem speziellen Fall alles optimiert werden?
- Viele Praxismanagement- oder CRM-Programme bieten Platzhalter in Texten, in die das System automatisch individuelle Anreden aus einer gewünschten Adressatenliste übernimmt (das hätte zweimal Zeit gespart).
- Der im zweiten Durchgang gewählte One-Piece-Flow ist klassisches Lean-Denken und war vorteilhaft gegenüber der typischen Standardfließbandarbeit. Wäre man sofort so vorgegangen, wäre bereits beim ersten Brief aufgefallen, dass Faltung und Umschlagform nicht korrespondieren. Außerdem wäre die Reihenfolge der Briefe bei der Serienfaltung nicht durcheinandergekommen.
- Der One-Piece-Flow führte darüber hinaus dazu, dass eine Mitarbeiterin weniger als anfangs geplant benötigt wurde (Einsparung der Ressource „Arbeitskraft“) und trotzdem die Arbeit schneller erledigt wurde, da die Mitarbeiterinnen die Wartezeit zwischen den einzelnen Schritten richtigerweise als Zeitverschwendung (siehe Kapitel 1 „Verschwendung“) identifizierten und sie entsprechend eliminierten.
Pull-Prinzip schafft Effizienz
Das Beispiel der Serienbriefe ist gleichzeitig ein Beispiel für den One-Piece-Flow. Es zeigt, wie dieser ein Pull-Prinzip anstelle des sonst oft üblichen Push-Systems ermöglicht. Das Pull-Prinzip bedeutet, erst wenn eine Arbeit erledigt ist, geht es an die nächste, damit sie möglichst effizient und in bestmöglicher Qualität durchgeführt werden kann.
In der nächsten Folge: Mit dem Pull-Prinzip Engpässe vermeiden, Teil 4 (verlinken)