Sicher, Übertherapie ist nicht die Art der Verschwendung, der wir in der Praxis am häufigsten begegnen, sie soll hier aber nicht vergessen werden, weil sie gravierend sein kann. Aber was genau ist eigentlich Übertherapie und bringt sie nicht vielleicht auch etwas Gutes für den Patienten?
Eine gute Multibandtherapie
Eine Kollegin, die mich im Rahmen meines Mentoringprogramms um Hilfe bat, hatte eine Multibandtherapie mit festsitzenden Zahnspangen durchgeführt. Da es sich um einen leichten Fall handelte, konnte sie nach etwa acht Monaten absehen, dass die Behandlung in Kürze abgeschlossen sein würde. Eine Behandlung für die sie üblicherweise etwa 18 Monate benötigt. Der Patient reagierte überraschend ungehalten und wollte 18 Monate behandelt werden, weil er dafür auch gezahlt hatte. Die Kollegin beschloss daher, die Behandlung noch zu optimieren und so ein absolut perfektes Ergebnis zu erzielen. Sie hatte zuvor mit dem 14er und 18er Niti nivelliert, mit einem 19×25 Niti das Finishing vorbereitet und wollte ursprünglich mit dem 19×25 Stahlbogen abschließen. Die Bögen hatte sie nach jeweils etwa acht Wochen gewechselt und alles sah gut aus.
Eine „perfekte“ Multibandtherapie
Nun wollte sie auch noch das letzte bisschen Extratorque aus ihrem MBT-System herausholen und verwendete den 21×25 TMA. Bei der Kontrolle, acht Wochen nach dem Einsetzen, stellte sie mit Erschrecken fest, dass alles viel schlechter aussah als vorher. Wie konnte das passieren?
Wir gingen alle denkbaren Fehlerquellen durch und kamen schnell zur Quelle des Problems: die Bracketpositionierung. Sie war nicht schlecht, aber auch eben nicht perfekt. Jeder kleinste Positionierungsfehler der Brackets – der im Übrigen ganz natürlich ist und immer wieder vorkommt – wurde zuvor kompensiert durch das Spiel zwischen Bracket Slot und dem jeweiligen Bogen, den sie verwendete. Beim 19/25 Stahlbogen haben wir zum Beispiel zehn Grad Spiel im Slot des Brackets. Das mag oft ein Nachteil sein, war aber in diesem Fall ein Vorteil gewesen. Nun, beim 21/25 TMA-Bogen, aber gab es diesen Spielraum nicht mehr, er brachte jede kleinste Abweichung bei der Positionierung gnadenlos ans Tageslicht. Der erste Schritt war nun, zum 19×25 Stahlbogen zurückzukehren, in der Hoffnung, dass das sonst so leidige Rezidiv ihr doch bitte einmal gnädig gesonnen sei und die Zähne wieder in die vorherige Position zurückstellen würde. Es kam jedoch, wie es kommen musste: Acht Wochen später war zwar ein Rezidiv eingetreten, allerdings nicht so wie gewünscht. Da sie den Biegekurs bei mir belegt hatte, konnte sie die notwendigen individuellen Korrekturen bei ihrem Patienten einfach und reproduzierbar vornehmen. Insgesamt schloss sie die Behandlung tatsächlich nach 18 Monaten ab und der Patient war zufrieden. Genauso hatte er sich das vorgestellt. Sie dagegen hatte einiges gelernt und verstanden. Hätte sie sich mit den 99 Prozent des erreichten Ziels – einem sehr guten Ergebnis! – zufriedengegeben, wären der geringe Zeitaufwand und die eingesparten Kosten ein Ausdruck ihrer Expertise gewesen.
Strukturiert vorgehen
Unangemessene Mittel und Methoden finden wir auch, wenn wir kieferorthopädische Techniken miteinander vergleichen. Als Vertreter der klassischen Straight-Wire-Behandlung habe ich eine sehr klar strukturierte Form des Vorgehens, die absolut lean ist, die ABCD-Methode, die ich in einem späteren Blogbeitrag vorstellen werde. Im nächsten Beitrag schauen wir zunächst einmal auf die Methode, mit der wir Fehler erkennen und sichergehen können, dass alles wie gewünscht läuft: die Baxmann Keys.